Den Journalisten Jamal Khashoggi und den Intellektuellen Farea Al-Muslimi verband eine Freundschaft – und politische Feindschaft. Eine Würdigung zum Todestag Khashoggis
Am 2. Oktober 2018 wurde der Journalist Jamal Khashoggi in der saudi-arabischen Botschaft in Istanbul ermordet. Sein Wegbegleiter Farea al-Muslimi ist Jemenit und ein bekannter junger arabischer Intellektueller. Er gründete den Thinktank Sanaa Center for Strategic Studies und ist Mitglied des Londoner Thinktanks Chatham House, wo er sich unter anderem mit Jemen und Saudi-Arabien beschäftigt. 2009 lernte er Jamal Khashoggi auf einer Konferenz kennen, seitdem verband beide eine Freundschaft – politisch waren sie jedoch nicht immer einer Meinung. In diesem Gastbeitrag beschreibt er die Auswirkungen des Mordes auf die Aktivisten des Arabischen Frühlings.
Zum letzten Mal habe ich meinen Freund Jamal Khashoggi im September 2017 gesehen, damals richtete er sich gerade in seinem selbst auferlegten Exil in den Vereinigten Staaten ein. Beim Abendessen in einem seiner Washingtoner Lieblingsrestaurants – dem Morton Steak House auf der Connecticut Avenue – debattierten wir über Politik. Zwischendurch machten wir Witze darüber, wie klein ich bin und wie groß er, und dass ich mein 200-Gramm-Steak nicht schaffte, während er seine 750-Gramm-Portion längst verschlungen hatte. Es ist eine schöne Erinnerung, aber es läuft mir kalt den Rücken herunter, wenn ich daran denke, was mit Jamals Körper angestellt wurde.
In unserem Teil der Welt war es selten leicht, zu schreiben und seine Meinung öffentlich kundzutun. Doch als man Jamal im Oktober 2018 in der saudi-arabischen Botschaft in Istanbul folterte, ermordete, seinen Körper (mutmaßlich) zerstückelte und so verscharrte, dass er nie anständig beerdigt werden konnte, fühlte es sich noch anders an. Inzwischen verstummen die internationalen Proteste, die Aufmerksamkeit wendet sich anderen Dingen zu und bei vielen von uns macht sich das Gefühl breit, es herrsche eine neue Normalität. Selbst kritische Stimmen üben Selbstzensur und halten sich zurück. Die erstickten Schreie unseres Freunds, aufgezeichnet vom türkischen Geheimdienst für die Weltöffentlichkeit, fühlen sich für viele wie ein letztes Keuchen an.
“Die Gefahr ist mein Schatten”, sagte wenige Tage vor Jamals Ermordung eine Aktivistin aus Aden zu mir. Kaum wurde bestätigt, dass Jamal getötet worden war, lähmte mich dieser Schatten. Ich konnte es erst glauben, als Riad es schließlich offiziell bestätigte. Schock, Ungläubigkeit und ein Gefühl der Machtlosigkeit brachen über mich herein und ließen mich unendlich einsam zurück. Eine Zeitlang konnte ich den ganzen Tag lang an nichts Anderes denken und nachts von nichts anderem träumen. Zum ersten Mal sagte ich mir: “Das könnte auch dir passieren.”
Eine Zeit, als die Furcht überwunden war
Als 2011 im Jemen die Revolution ausbrach, schien es, als würde meine gesamte Generation auf die Straße gehen und Wandel und Freiheit fordern. Mittendrin bildete sich eine kleine Gruppierung – wir waren jung und politisch aktiv. Vor allem beherrschten wir fließend Englisch und Arabisch, was uns zu wichtigen Mittlern zwischen Jemen und dem Rest der Welt machte. Wir traten im Fernsehen auf, schrieben Artikel, arbeiteten ausländischen Journalisten zu, halfen Menschenrechtsorganisationen beim Dokumentieren von Massakern und prangerten auf Twitter miserable ausländische Berichterstattung und die dafür zuständigen Journalisten an. In vielerlei Hinsicht wurden wir inoffizielle Pressesprecher der Revolution. 2011 wagten wir uns zu erheben, und das bedeutete ein Leben in ständiger Gefahr – es drohten Verhaftung, Folter, Schikanierung bis hin zur Möglichkeit, ums Leben zu kommen. Wir wussten um diese Risiken, aber das hielt uns nicht davon ab zu tun, was zu tun war, oder zu sagen, was unserer Meinung nach richtig oder falsch war.
In den Jahren seit dem Arabischen Frühling ist unsere Region leider zu einem Schauplatz ausländischer Interventionen, Stellvertreterkriege, Gegenrevolutionen, Staatsstreichen, gescheiterter Übergänge, erstickend strengem Durchgreifen und verschiedenen zerstörerischen Machtprojektionen verkommen – zu oft unter dem Deckmantel der “Konfliktlösung”.
2014 half ich, das Sana’a Center for Strategic Studies zu gründen, Jemens wichtigste unabhängige Denkfabrik. Seitdem muss ich miterleben, wie Kollegen verhaftet und drangsaliert werden, im Gefängnis landen und bedroht werden – und zwar im ganzen Land und von allen Beteiligten an diesem fortwährenden Konflikt. Wann immer mich ein Kollege aus dem Jemen anruft, erwarte ich schlechte Neuigkeiten. Und auch im Rest der Region ist es um die Sicherheit nur unwesentlich besser bestellt: 2016 wurde ich aus Bahrain deportiert und daran gehindert, auf einer internationalen Konferenz zu reden.
Vergangenes Jahr gelang es mir, in die von der Huthi-Miliz kontrollierte Hauptstadt Sanaa zu reisen. Man hatte mir von allerhöchster Stelle Garantien für meine Sicherheit gegeben. Dennoch wies ich vor Reiseantritt meine Assistentin an, eine vorformulierte Erklärung an die Presse zu geben, sollte sie 24 Stunden lang nichts von mir gehört haben. Das ist für mich und viele meiner Kollegen Alltag. Dennoch fühlt es sich überraschend an, wenn Freunde aus dem Westen Bedauern darüber äußern, unter welchen Bedingungen wir arbeiten müssen. Wir haben die Möglichkeit, die Wahrheit darüber zu erzählen, was in unserem Land geschieht, das sollte doch eigentlich für Neid sorgen, nicht Mitleid erregen.
Früher waren es gelegentlich die Risiken, die mich antrieben. Die Gefahr machte unser Handeln aufregend und verlieh dem Ganzen eine gewisse übergeordnete Bedeutung. Ich war immer dankbar dafür, dass es etwas gab, für das ich mein Leben zu riskieren bereit war.