Saudi-Arabien muss nach zwei Wochen Feuerpause im Jemen entscheiden, wie es weitergeht: Soll weiter unter schlechten Aussichten gekämpft werden oder muss ein unerfreulicher Deal mit dem Gegner her? 

Die Ankündigung aus Riad war an Zynismus schwer zu überbieten: Das von Saudi-Arabien angeführte Militärbündnis, das seit fünf Jahren Gebiete im bettelarmen Jemen bombardiert, wolle das “Leid des jemenitischen Brudervolks mildern”. Zwei Wochen lang wollte das saudische Bündnis, das im Nachbarland gegen Huthi-Rebellen kämpft, die Waffen schweigen lassen. Beobachter fragten sich, ob es damit tatsächlich einen Ausweg geben könnte aus dem erbitterten Konflikt.

Die Ankündigung der saudischen Koalition sei nur “mit einem Körnchen Salz” zu genießen, zeigt sich Farea Al-Muslimi, Vorsitzender des Sanaa Center und Experte für den Jemen, skeptisch. Man müsse die Nachricht entweder gleich verwerfen, oder “beten”, dass sie längerfristig doch zu etwas führen könnte, etwa einem dauerhaften Waffenstillstand. Oder vielleicht sogar zum Frieden – ein Wort, das im Zusammenhang mit dem Jemen heute fast fremd klingt. 122.000 Menschen kamen dort durch Kämpfe ums Leben, Zehntausende wurden vertrieben.

Saudi-Arabien ist stark vom Coronavirus betroffen

Viele zweifeln an den erklärten Motiven Saudi-Arabiens, mit der Waffenruhe auch den Weg zu politischen Gesprächen ebnen zu wollen. Stattdessen wollte das Königreich sich womöglich Zeit verschaffen, um eigene Probleme anzugehen: Saudi-Arabien ist vom Coronavirus in der Golfregion am stärksten betroffen, nach Berichten sollen auch Dutzende Mitglieder des Königshauses infiziert sein. Selbst die große Pilgerfahrt Hadsch könnte dieses Jahr wegen der Pandemie ausfallen.

Die vom Iran unterstützten Huthis sind im Jemen unterdessen so stark wie seit Jahren nicht. 2014 hatten sie die Regierung aus der Hauptstadt Sanaa vertrieben, seitdem kontrollieren sie große Teile des Nordens. In den Provinzen Marib und Al-Dschauf wollen sie der Regierung die letzte große Bastion im Land abringen, auch in der Hafenstadt Hudaida brachen wieder Kämpfe aus. Zugleich greifen die Huthis immer wieder Ziele in Saudi-Arabien an. Ihre Landgewinne geben ihnen wenig Anlass, ausgerechnet jetzt die Waffen niederzulegen.

Die Rebellen fordern Reparationen

Auch die Rebellen hatten eine Art Wunschliste vorgelegt, unter welchen Bedingungen der Krieg ihrer Einschätzung nach zu einem Ende kommen könnte. Darunter sind ein Ende der Luft- und Seeblockade durch Saudi-Arabien und Reparationen für die Kriegsschäden. Aber: “Die Fakten am Boden haben nichts mit diesen politischen Erklärungen zu tun”, meint Ahmed Nagi vom Carnegie Middle East Center in Beirut. Mit offiziellen Stellungnahmen wollten die Kriegsparteien nur ihr “Image aufpolieren” und die Schuld am Konflikt abwälzen.

Trotzdem sucht Saudi-Arabien einen Ausweg aus dem Krieg, der sich militärisch kaum noch gewinnen lässt. Das Bündnis hat die Huthis auch in fünf Jahren nicht aus Sanaa vertreiben können. Hoffnungen, den ins Exil geflohenen Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi wieder dort einziehen zu lassen, sind verpufft. Dem Projekt zur Analyse von Daten aus Konfliktgebieten ACLED zufolge hat das saudische Bündnis die Zahl seiner Luftangriffe bereits stark reduziert.

Der Krieg ist teuer

Und der Krieg kostet Geld. Zugleich macht der historische Ölpreisverfall der saudischen Wirtschaft zu schaffen: Für einen ausgeglichenen Haushalt benötigen die Saudis eigentlich einen Preis von etwa 85 US-Dollar pro Barrel – am Mittwoch stand er bei etwa einem Viertel dieses Werts. Wird die Pilgerfahrt Hadsch abgesagt, brechen weitere wichtige Einnahmen weg. Der erhoffte Wirtschaftsumbau namens “Vision 2030” sei in dem Wüstenstaat nur noch eine “Fata Morgana”, sagt Analyst Bruce Riedel vom Brookings Institute.

Bei einem Kriegsaustritt stünde Saudi-Arabiens Erzfeind Iran, der die Huthis im Jemen unterstützt, vor der eigenen Tür. Schon jetzt greifen die Huthis mit Drohnen und Raketen immer wieder Ziele in dem Land an, das im November zum G20-Gipfel nach Riad laden will. Selbst ein Angriff kurz vor oder während des Treffens der Staats- und Regierungschefs wäre nicht ausgeschlossen.

Bewegen die Konfliktparteien sich aufeinander zu? 

Einen endlosen Krieg könnten die Saudis aber auch nicht mehr führen, vermutet Riedel. “Sie haben keine realistische Alternative, als den Huthis die meisten Teile des Jemens zu überlassen mit dem Gespenst eines iranischen Stellvertreters an ihrer südlichen Grenze.” Auch die Analysten des Soufan Center vermuten, dass der Krieg Saudi-Arabien “überfordern” könnte. Jetzt sei die Zeit, die eigenen Verluste zu begrenzen und einen – wenn auch schlechten – Deal auszuhandeln.

Martin Griffiths gibt die Hoffnung darauf nicht auf. Seit zwei Jahren bemüht sich der UN-Sondervermittler um ein Ende des Jemen-Krieges. Er stehe in “ständigen Verhandlungen” mit den Konfliktparteien, sagte er dem UN-Sicherheitsrat vergangene Woche. Sein Ziel: Schriftliche Vereinbarungen über eine landesweite Waffenruhe, den Austausch von Gefangenen und auch die Wiedereröffnung des Flughafens in Sanaa und wichtiger Straßen. “Wir bewegen uns, hoffe ich, glaube ich, auf einen Konsens zu”, sagt Griffiths. 

 

Dieser Artikel wurde am veröffentlicht T-online